Tuesday, May 16, 2006

materialistischer Konstruktivismus: Strom, System,Territorium

Also zumindestens noch ein Versuch zu Deleuze/Guattari:

Für Guattari und Deleuze bestehen gesellschaftliche Zustände in der Organisation von Strömen. Sinn ensteht also ähnlich wie in der Sysatemtheorie durch produktive Prozesse, allerdings nicht in Form einer Bewußtseinsausbildung, sondern in Form der Sedimentierung und Faltung von Partikeln (Individuen, Mengen, Daten etc.) Insofern sind sie weniger ontologisierend als die Systemtheorie (die ja von einem Evolutionsprinzip = funktionale Differenzierung ausgeht).
Deleuze und Guattari fragen also nicht danach, wie diese Ströme entstehen - sie sind da! Ihre ausformung hingegen ist historisch kontingent, d.h. Sedimentierungsprozesse (Ablagerungen an Sinn und Nicht-Sinn) und deren Faltung (also die Organisation dieser Elemente - geschichtet, differenziert, stratifiziert) können unterschiedliche Formen annehmen.
Man muss ich das so vorstellen, dass es eine Ebene gibt, die undifferenziert ist und auf der sich Ströme (Geld, Massen, Rohstoffe), Elemente und Partikel (Gruppen und Individuen) verteilen.
Diese Ebene wird von ihnen der organlose Körper genannt, der zwar noch nicht definiert, aber immer schon vorhanden ist. Die Ströme, Elemente und Partikel bewegen sich in einer Schicht über dieser Ebene und zwischen diesen beiden bilden sich nun maschinelle (also produktive) Gefüge, die eben gleichzeitig Sedimente ablagern und abgelagerte Sedimente falten. Es bilden sich Moleküle und molare Einheiten.
Der Witz bei Deleuze und Guattari besteht nun unter anderem darin, dass sie zwischen Codierung, Decodierung und Supercodierung unterscheiden.
Codierung geht mit einer Territorialisierung einher, d.h. es erfolgt eine Organisation der Ströme auf der Ebene (Grenzziehungen, Installation von Verkehrswegen, Ballungen etc.)
Weil aber durch diese Prozesse immer etwas verloren geht (aktives Entfliehen, Reibungsverluste im Sinne des 2. thermodynamischen Hauptsatzes) entsteht gleichzeitig eine Decodierung und Auflösung der Organsiation, d.h. es gibt mit jeder Territorialisierung eine Deterritorialisierung (Auschluss aus dem System, Delegitimierungen, Migration, Fluchten usw).
Die Dritte Beobachtung konstatiert schließlich, dass dieses "Mehr" an Strömung, das stets aus der Territorialisierung flieht, mit anderen Strömen zusammenfließen kann und sich somit reterritorialisieren kann (also die einzelnen Codes der Ströme supercodiert - hier haben wir auch die Vorstellung des leeren Signifikanten bei Laclau/Mouffe wieder). Mehr noch: Eine Reterritorialisierung kann nur auf der Basis einer weitgehenden Deterritorialisierung stattfinden: Dies bedeutet, eine Neuorganisation (z.B. auch eines Sytems) kann also nur da auftauchen, wo sich bisherige Organisationen deterritorialisiert haben. Eine ethnische Minderhiet kann z.B. nur vor der Desorganisation einer nationalen Mehrheit entstehen - oder: Bürokratie als rationale Organsiation von Gesellschaft ist nur möglich, wenn andere Formen der Regierung irrational geworden sind - oder (Achtung: Seitenhieb!!!): die Systemtheorie kann sich nur dadurvch als Universaltheorie innerhalb der Soztiologie reterritorialisieren, insofern andere Theorien ihren Universalitätsanspruch aufgegeben oder verloren haben. Um es an einem Beispiel deutlich zu machen: Die Systemtheorie konnte sich de facto als Universaltheorie nur behaupten und entwickeln, weil Habermas sich an dieser Entwicklung beteiligt hat, also den Gedanken einer Systembildung akzeptierte, damit andere Modelle (etwa der Dialektik der Aufklärung) zurückwies, und damit eine Deterrirorialisierung der Kritischen Theorie ermöglichte. Wohlgemerkt, dies ist also nicht ein reiner Gewinn inheränter systemischer Theoriebildung, sondern diese wurde erst durch die Auflösung anderer Territorien ermöglicht. So fließen in der Luhmannsche Theorie die Ströme der Kybernetik, des Konstruktivismus, des Idealismus, der Evolutionstheorie, Old River Parsons (der gute Talcott), der Dialektik und der Bürokratie zusammen und reterritrialisieren sich auf dem deterritorialisiertem Feld universalistischer Gesellschaftstheorie...Alles klar?

BTW: Warum ist die Aufgabe einer universalistischen Position mit der Einnahme einer sozialtechnologischen Position gleichzusetzen? Wohlgemerkt: Universalismuskritik heißt ja nicht, das Erklärungsfeld zu reduzieren (die Gesellschaft) oder sich auf eine therapeutische Position zu begeben (was ich bislkang unetr Sozialtechnologie verstehe), sondern sowohl das Explanans als auch das Explanandum selbst als historisch und sozial kontingent zu verstehen, d.h. dass sich hinter der Theoriebildung keine Transzendentalien (wie etwa eine Evolution) verbergen: Universalismuskritik hießt, Oberflächenkunde zu betreiben, also Karten anlegen und keine tiefenheremeneutische Theorie zu entwickeln - a lles ist da, man muß nur hinsehen und aufzeichnen.

Literatur:

Gilles Deleuze/Félix Guattari (1997): Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie, Berlin: Merve.
Gilles Deleuze (1993): Unterhandlungen 1972-1990, Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Larner, Wendy/Walters, Wiliam (2004): Globalization as Gouvernmentality, in Alternatives, Vol. 29, S. 495-514.

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