Wednesday, May 17, 2006

Beispiele materialistischen Konstruktivismus' I: das Dispositiv

Was ist ein Dispositiv?


Definition: „Es ist zunächst ein Durcheinander, ein multilineares Ensemble“, „Es ist zusammengesetzt aus Linien verschiedener Natur.“

Diese Linien im Dispositiv umringen oder umgeben nicht etwa Systeme, deren jedes für sich homogen wäre: das Objekt, die Sprache usw.,

stattdessen:

- sie folgen Richtungsvorgaben,

- zeichnen Vorgänge nach,

- Linien sind stets im Ungleichgewicht

- Sie nähern sich mal an und entfernen sich voneinander


Linien sind in sich gebrochen und unterliegen damit Richtungsänderungen unterworfen
und Linien verzweigen und gabeln sich und sind damit Abweichungen unterworfen.

Sichtbare Objekte, formulierte Aussagen, ausgeübte Kräfte und positionierte Subjekte sind Vektoren und Tensoren.

- Es gibt drei große Instanzen: Wissen, Macht und Subjektivität. Diese Linien sind nicht universal, sondern historisch kontingent.

„Es gibt Sedimentierungslinien, sagt Foucault, aber auch ‚Spaltungs’- und ‚Bruch’-Linien“

Und:

„Will man die Linien eines Dispositivs entwirren, so muß man in jedem Fall eine Karte anfertigen, man muß kartographieren, unbekannte Länder ausmessen – eben das, was er als ‚Arbeit im Gelände’ bezeichnet. Man muß sich auf die Linien selbst einstellen, die sich nicht damit begnügen, ein Dispositiv zusammenzustellen, sondern die es – von Nord nach Süd, von Ost nach West oder diagonal – durchqueren und mit sich fortreißen“ (S. 153).

1+2. Für Foucault gibt es die Kurven der Sichtbarkeit und die Kurven des Aussagens.

Dispositive sind also Maschinen, die Sehen machen oder sehen lassen, sprechen machen oder sprechen lassen.

Dabei verweist Sichtbarkeit nicht auf ein Licht, dass von außen ein Objekt bescheint, sondern auf Lichtlinien, die dispositivspezifische Figuren hervortreten lassen. – Ein Dispositiv hat stets eine Lichtordnung! (Das Panopticum: sehen, ohne gesehen zu werden und gesehen werden, ohne selbst den Betrachter zu sehen.)

Die Geschichtlichkeit eines Dispositivs liegt also in einer Lichtordnung und in einer Aussageordnung, die weder Subjekte noch Objekte sind. Aussagevorgänge sind Kurven, auf denen sich differentielle Positionen und Elemente verteilen.

Beide Ordnungen haben ihre Abweichungen, Transformationen und Mutationen. Linien überwinden dabei Schwellen, die sie verändern und transformieren.


3. Kräftelinien: Diese verlaufen auf den anderen Linien von einem Punkt zum anderen, sie richten die anderen Linien aus, tangieren oder verbinden die anderen Linien. (Vom Sehen zum Sprechen). Dioe Kräftelinien durchkreuzen alle Orte eines Dispositivs, sidn unsehbar und unsagbar und doch mit diesen Linien verknüpft: Es sind die Linien der Macht als dritte Dimension des den Dispositiven innerlichen Raumes.


4. Linien der Subjektivierung: Kräftelinien krümmen sich, bilden Mäander, wirken auf sich selbst anstatt auf andere Linien ein (es entsteht eine Falte). Es flieht die anderen Linien, „macht sich davon“, entzieht sich: Die Subjektivierung ist ein Prozess, der zwar einen Mehrwert (Subjekt) produziert, aber nicht in jedem Dispositiv gegeben ist.

Deleuze stellt die Frage, ob die Subjektivierung nicht den äußersten Rand eines Dispositivs ausmacht, weil durch sie neue Macht- und Wissensformen aufkommen, die mit „alten“ Dispositiv brechen und zu neuen übergehen. Subjektivierung wäre damit also das Doppel aus Deterritorialisierung und Reterritorialisierung

Wir haben also:

Sichtbarkeitslinien, Aussagelinien, Kräftelinien, Subjektivierungslinien, Rißlinien, Spaltlinien, Bruchlinien.

Sie überkreuzen sich, vermischen sich, geben als eine das andere wieder, variieren, verketten, mutieren, er erzeugen andere Linien.

Für Deleuze ergeben sich daraus zwei Folgerungen:

1. Zurückweisung der Universalien: Sie erklärt nichts, sondern muß erklärt werden. Es gibt keine Koordinaten, nur Variationslinien: Objekte, Subjekte, das Ganze, das Wahre sind keine Universalien, sondern singuläre Prozesse der Objektivierung, Subjektivierung, Verifizierung etc.

Das heißt, dass ein Dispositiv immer eine Vielheit ist, niemals Zustand sondern Werden.

Damit ist auch Rationalität eine Vielzahl an Formen. Hier gibt es sicherlich eine Nähe zur Systemtheorie. Nur bilden die unterschiedlichen Dispositive keine Gleichgewichtigkeit aus. Für Deleuze und Foucault gibt es kein Dispositiv, dass als Beobachter zweiter Ordnung eine Rangigkeit oder Bewertung einführen könnte. Stattdessen bilden die den Dispositiven immanenten Möglichkeiten der Flucht, der Freiheit und der Ästhetik, der Kreativität etc. die Rationalität, an der sich die Entwicklung eines Dispositivs bewerten lässt (aber auch nicht anhand der Codes, sondern anhand deren Auflösungen).

2. Die Orientierung muss daher vom Ewigen zum Neuen umschenken: Das Neuartige sind keine Differenzierungen von Aussagen sondern die Fähigkeiten von Aussageordnungen hinsichtlich ihrer Selbsttransformation oder Selbstspaltung in der Zukunft. Subjektvierungslinien scheinen sich dafür besonders gut zu eignen.

Aktualität als Neuartigkeit bedeutet dabei ein in actu, ein sich im Werden befinden, das Verhältnis eines Dispositivs zu seinen Vorgängern: Es geht also um die Anteile der Geschichte und die Anteile des Aktuellen, der Analytik und der Diagnostik. Dabei bezeichnet das Archiv den Zustand, der wir immer weniger sind, während das Neue eine Inaktualität, ein die zeitliche Ordnung Durchbrechendes ist.

Die Linien des Dispositivs können also dahingehend unterteilt werden, ob sie Linien der Schichtung und Sedimentierung oder Linien der Aktualisierung oder Kreativität sind.

Literatur:

Gilles Deleuze (1991): Was ist ein Dispositiv?, in Francios Ewald und Bernhard Waldenfels (Eds.): Spiele der Wahrheit. Michel Foucaults Denken, Frankfurt/Main: Suhrkamp, S. 153-162.

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