Tuesday, September 02, 2008

Innovation und Kritik als Störquellen und De-Re-Regulierer

Stabile Kommunikation bedarf der Störung. Diese Störung bedarf sie, um nicht irgendwann „eingependelt“ stillzustehen (diese Art der Stabilisierung wäre ihr Tod), sondern um konvulsiv zu zucken und ihr Spielfeld, welches ihr Rhizom darstellt, mit der Energie der Aktualisierung versorgen zu können (eine Art fluktuierender Stabilisierung) .

Störungen, so die hier vorgebrachte These, können zweierlei sein.

Zum einen kann es sich um die Störungen einer Innovation handeln. Die Innovation zeichnet sich dadurch aus, dass sie strukturelle Varianz ist, welche eine neue Form höherer Emergenz im Rhizom provozieren will. Dabei steht sie gleichzeitig der bisherigen emergenten Form des nun zu transformierenden Phänomens in einer akzeptierend-überholenden Weise gegenüber. Was bisher galt, wird als bislang richtige, ja vielleicht sogar für die eigene Entwicklung fundamentale Realisierung von Relationen gewertet. Solche Ahnen der eigenen Geschichte werden in Ehren gehalten und erinnert, nun aber durch aktuelles, zeitgemäßes und verbessertes verwandelt und somit auch ersetzt. Im Gedächtnis – also in der Kultur der Sache – wird die Vergangenheit als per se zum historischen Kontext passende, also rationales und somit nicht generell abzulehnende s Modell so weit wie möglich einsichtiger Akteure gewertet. [Nicht zu vergessen war das bisherige Netz für die Innovation auch gerade nicht zu engmaschig, sondern es barg genügend chaotischen Dschungel, in dessen verschlungenen Freiheitsgrade sich die fortschreitende Erneuerung ordnen und eigene Wege festtrampeln konnte.]

Eine andere Form der Störung ist die Kritik. Die Kritik selbst ist im ersten Schritt destruktiv und sucht nach Fehlern die sich als Unwahrheiten, ja schlimmstenfalls als Lüge entpuppen, sobald sie durch den Lichtstrahl der Kritik aus dem imaginären Kaiserkleidchen bisheriger konstruktiver Webetechniken geschält worden ist. Die Kritik sucht Unordnung zum Vorschein zu bringen, wo Ordnung vorgetäuscht ist. Sie sucht zu überzeugen, dass das „Rasen betreten und Ballspielen in der Anlage strengsten untersagt“-Schild im Dschungel keine Berechtigung hat, sondern Willkür, schlimmstenfalls „Politik“ ist. Die Kritik kommt als Falsikationspunk oder als Werttheoretiker daher. Sie sind von ablehnend-zurückschreitender Form, denn beide lehnen die Vergangenheit aus der Sicht der Zukunft in der Gegenwart ab , als Irrtum, der korrigiert werden muss. Sie ist aber in einem zweiten Schritt ebenfalls produktiv regulativ, weil sie bestimmt Phänomene als Irrtümer enttarnt, während sie anderen gegenüber blind ist. In diesem Fall ist sie passiv-aktiv. Jedoch muss sie sich die Frage gefallen lassen, woher sie die Zukunft so gut kennt, dass sie bestimmte „Selbsterfüllungen“ ausschließen kann und die Auswirkungen von Schmetterlingsflügelschlägen zu berechnen weiß? Die Kritik steht insofern schnell selbst in der Kritik und bedarf, will sie seriös sein, der Rechtfertigung und Benennung der Spendernamen ihrer Wertaxiome.

Doch die Kritik soll ja mit an Bord sein! Ja, sie soll sogar mit ihren Magneten nach ihrem Willen den Kompass beeinflussen dürfen. Die Rechtfertigung dazu bekommt sie aber nicht aus der Zukunft, sondern mit Blick auf die Vergangenheit, in der sie so manchen Prozess (un)angenehm irritierte und so manchen falschen Zauber enttarnt hat. Dass sie ihn enttarnen konnten heißt jedoch nicht, dass er damit schlichtweg überholt war. Sondern es kann auch bedeuten, dass der Trick verbessert wird – weil es manchmal einfach nur darum geht, Funkeln in den Augen kleiner und großer Kinder zu erzeugen, die dieses Funkeln dann mit in ihre Welt nehmen um dort Dinge besser sehen zu können, die vorher im Schatten des Alltags unbemerkt blieben.

Thursday, August 17, 2006

Gottfried Jäger: Bildsystem Fotografie

Im Handbuch "Bildwissenschaften: Disziplinen, Themen, Methoden" von Klaus Sachs-Hombach (2005; Frankfurt a. M.: Suhrkamp) findet sich auch ein Artikel über das Bildsystem Fotografie.
Der Autor geht davon aus, dass sich auf der Grundlage einer einheitlichen TechniK (das Auzeichnen dauerhafter Spuren von elektromagnetischen Strahlen, vorwiegend Licht, auf einem strahlungsempfindlichen Material) eine generatives System differenzierte. Teilsysteme unterscheiden sich dabei hinsichtlich a) Bildmotiv, b) Bildstrategie, c) Bildart, d) Kriterien, e) Funktionsbasen f) Bildmethoden/Bildstil und g) Fotomethoden/Fotostil. Ihr gemeinsamerKern sei aber die "materieller Kern" (sic!) der Technik.
Jäger unterscheidet darauf hin vier evolutionäre Motivphasen des Bildsystems Fotografie, die sich jedoch nicht ablösen, sondern in einer Spannung zueinander stehen.
1. Aneignung

  • Bildmotiv ist die Aneignung der äußeren Wirklichkeit.
  • Bildstrategie ist dabei das Abbilden des Sichtbaren
  • Bildart ist das Abbild bzw. die Ikone
  • Fotoart ist eine berichtende Fotografie
  • relevantes Kriterium ist die Abbildungstreue im Objektbezug
  • Funktionsbasis ist die Ähnlichkeit zwischen Bildzeichen und Bildgegenstand
  • Bildstile sind Sachlichkeit, Gegenständlichkeit und Realismus
  • Fotomethoden sind die Realistische Fotografie, die Sach- und Dokumentarfotografie sowie die Fotoreportage

Im Zentrum steht die Natur als Objekt, die mittels der Selbstaufzeichnung ein getreues Abbild der äußeren Welt herstellen soll. Das Licht ist dabei der aigentliche Agent der Aufzeichnung. Die ersten Reproduktionen von Daguerre und Nicéphore Nièpce waren genau diesem Anspruch verhaftet. Diese Fotos sind Aufnahmen, sie halten die Welt im Detail fest.

So gleich geht's weiter, die Arbeit ruft...

2. Vermittlung

  • Bildmotiv ist die Vermittlung innerer Bilder
  • Bildstrategie ist die Darstellung des Nichtsichtbaren
  • Bildart ist das Sinnbild bzw. das Symbol
  • Fotoart ist eine darstellende Fotografie
  • das relevante Kriterium bildet die Äquivalenz mit dem Subjekt
  • Funktionsbasis ist die Entsprechung zwischen Bildzeichen und Bildbedeutung
  • Bildmethoden/Bildstile sind Verfremdung, Abstraktion und Symbolismus
  • Fotomethoden und Fotostile sind Gestaltende Fotografie, Subjektive Fotografie, Visualistische Fotografie und jegliche Fotoinszenierung

Man wird sich also jetzt bewußt, dass die Fotgrafien inszeniert sind. Portraitfotos und Fotomontagen kommen auf. Wann immer man fragt, was das Bild bedeuten soll, was es enthüllt etc., bewegt man sich auf der Ebene der Vermittlung bzw. kann on Sinnbildern sprechen. Aber während Passfotos etc. ein äußeres Wahrheitsmoment zukommt, beinhalten die Bilder eine innere Wahrheit. Benjamin steht genau auf dieser Schwelle. er erkennt die Dialektik im Stillstand in den Bildern und erkennt die Suhe nach naturgetreuer Fotografie als blaue Blume des Apparats. Seine Forderung, dass durch die Fotografie neue Verhältnisse geschafft werden sollen, wird im dritten Typus von Jäger verfolgt.

3. Schaffung

  • Bildmotiv ist die Schaffung neuer Verhältnisse
  • Bildstrategie ist die Erzeugung von Sichtbarkeit
  • Bildart ist das Strukturbild bzw. Symptome und Indizes
  • Fotoart ist die Erzeugende Fotografie
  • das relevante Kriterium ist die Autonomie im Bildbezug
  • Funktionsbasis ist der Zusammenhang von Bildzeichen und Bildursache
  • Bildmethoden/Bildstile sind Komposition, Konstruktion und Konkretismus
  • Fotomethoden/Fotostile sind die Konkrete Fotografie, Experimentalfotografie, generative Fotografie und Fotokomposition

In dieser Phase werden Fototechniken bewußt angewandt, um andere Sehgewohnheiten zu provozieren oder bewußt Probleme mit den Bildern aufzuwerfen. Damit gewinnt die Fotografie eine utopische, politisch-soziale Dimension. Sie stellt Fragen an die eigenen Techniken. In der Literatur wäre dies wohl der Unterscheid zwischen Kafka und Brecht.

4. Reflexion

  • Bildmotiv ist die Reflexion medialer Realität
  • Bildstrategie ist die Überprüfung von Sichtweisen
  • Bildart ist das Reflexbild (Indexe)
  • Fotoart ist die Analytische Fotografie
  • das relevante Kriterium ist die Selbstreferenz an das eigene Medium
  • Funktionsbasis ist die Identität zwischen Bildzeichen und Bildprozess
  • Bildmethoden/Bildstile sind Analyse, Verifikation und Konzeptualismus
  • Fotomethoden/Fotostile sind Konzeptfotografie, Demonstrative Fotografie, Medienreflexion und Fotorecycling

Im vierten Stadium befinden wir uns also auf der modernen Systemebene. Die Fotografie beobachtet sich selbst. Über den Produktionsprozess hinaus wird nun das Foto selbst zum Objekt der Konstruktion. Dekonstruktive prozesse legen den Konstruktionscharakter der Bilder selbst frei. Während in der dritten Phase das Konstruktionsmoment zum Mittel wird, um bestimmte Sinnbezüge herzustellen, wird nun dieses Verhältnis selbst reflektiert.

Diese vier Teilsysteme des Bildsystems Fotografie sind aber doch zu rationalistisch gedacht. Jäger verbindet diese Phasen stets mit einem Datum und mit exemplarischen Kunstwerken. Obwohl gerade die letzte Phase als soziologische beschrieben werden könnte, weil sie Konstruktionsform und Konstruktionsprozess gelichermaßen berücksichtigt, macht eine solche Typologie, vor allem wenn sie evolutionär präsentiert wird, sich eines einseitigen Rationalismus verdächtig. Die Fotografie wird alle Tage schlauer.
Hier wäre wieder einmal auf die Fortschrittskritik von Walter Benjamin zu verweisen, der in der letzten Phase wohl einen konstruktivierten Naturalismus (konstruktiviert ist hier wie apostrophiert zu lesen) gesehen hätte. Denn die systemtheoretische Perspektive, die sich auf eine operative Objektivität (sie behauptet ja, in ihrer Perspektivierung idelogiefrei zu sein), möchte nun nach Leitdifferenzen (oder nach relevanten Kriterien beobachten).
Nichtsdestotrotz ein brauchbares Schema, um in einem ersten Zugang Fotografien sortieren und entsprechend analysieren zu können.

Friday, July 28, 2006

Sendepausende

Habe gestern beim suchen nach Luhmanns Matrix auf den äußerst interessanten Hypertextband zu Medien von Sybille Krämer gestoßen. Vor allem der Aufsatz von Thomas Khurana zur Erarbeitung einer Medientheorie im Anschluss an Derrida und Luhmann könnte eine schöne Schnittstelle unserer Perspektiven darstellen.

Tuesday, June 20, 2006

Wednesday, June 07, 2006

God or Evolution? Yes, please!

Zwar ist mir die Ges. der Ges. noch nicht über den Weg gelaufen, aber ich versucghe dennoch eine weitere Volte.

ad Gott & Evolution: Ich halte den Gebrauch der Evolution für ein säkularisiertes Substitut für die Funktion von Gott selbst. Immer noch klingt im Begriff der Evolution eine Ontogenese jenseits eines Verständnisses einer historischen Kontingenz an: "Evolution" versucht historische Kontingenz ja seiner Komplexität zu berauben (sei es durch "Selektion" oder "Drift" oder "survival of the fittest" als Funktion), die ich analytisch gesehen für brauchbarer halte, als es auf einen "Nenner" zu bringen. Begriffe wie "Differenzierung" oder "Komplexitätssteigerung" sind einfach "leerer", können also unterschiedlicher gefüllt werden (je nach Gebrauch). Naja anders ausgedrückt: Wenn man bei einer Antwort nur zwischen Gott und Evolution (oder Intelligent Design oder Ausserirdische oder sonstige "letzte Prinzipien") wählen kann, ist vielleicht die Frage falsch gestellt, dann zielt man auf eine Art theologisch-teleologisches Erkenntnis/Erklärungsmodell.

Zu Deinen/Luhmanns drei Punkten:

1. Komplexitätssteigerung: okay gibt es, selektiert aber die Anschlusskommunikationen oder bringt andere Erwartungshaltungen hervor. Die Frage bleibt schließlich, ob sich die K-Steigerung auf die strukturelle Zusammensetzung oder auf die Anschlußmöglichkeiten bezieht (Es wäre ja auch denkabr, das z.B. Hybridgemenge (z.B. Gummi und Porzellan) hochkomplex aufgebaut sind und auch noch eine höhere Verwertbarkeit (also Anschlüsse) als die anderen besitzen.

2. Die Frage zwei lässt sich nicht beantworten, da es zwar strukturelle Koppelungen gibt, aber die beeinflussen ja die anderen Erwartungshaltungen nicht direkt. Der Staat z.B. mag seine Aufgaben nur noch in der Grundsicherung des gesellschaftlichen Lebens sehen und diese Selektion als Evolution betrachten (heißt das, dass ein liberaler Staat eine anderes System des Wohlfahrtsstaates darstellt? Oder stellt diese eine Umorganisation des politischen Systems dar?) Gleichzeitig mag die Bevölkerung noch immer dieselben Forderungen (Erwartungshaltungen) an den Staat erheben (egal ob es eine Umstrukturierung, eine Evolution oder eine Komplexitätssteigerung darstellt). Deswegen würde ich nicht davon ausgehen, dass eine Selektion der Anschlusskommunikationen auch zu einer Änderung der Erwartungshaltungen führen muss. Ich weiß tatsächlich nicht ob ich dieser Beobachtung zustimmen kann.
3. Fremdbestimmtheit oder Autoevolution: Da bleibe ich Dialektiker: Eigene Handlungen verobjektivieren sich im Austausch mit der Umwelt und wirken strukturierend zurück - damit sind sie nicht direkt deterministisch, aber dem System bleiben nicht genügend Freiheitsgrade, zu entscheiden, ob es damit umgeht oder nicht. Und die Systemstruktur schreibt anschließend vor, wie es damit umgeht, ansonsten werden die Kräfte so stark, dass es systemgefährdend werden könnte (Soziale Tatsachen verfügen über Zwangscharakter!). Nein, den Grundsatz der von außen irritierten Selbstentwicklung sehe ich nicht. Ich denke, dass sich Gesellschaftsgenese sowohl heteropoietisch als auch autopoietisch vollzieht.

ad "Gesellschaft in einen anderen Zustand sprengen": In der Tradition von Marx wird Vergesellschaftung als nicht notwendig begriffen, erst recht nicht für die Zukunft. Was die Sytemtheorie mit der KT verbindet ist die Einsicht in eine historische Kontingenz, was sie trennt ist die Annahme/Ablehnung einer futurischen Kontingenz. Auf die Gesellschaft muß für Benjamin eben nicht Gesellschaft folgen, der ja als ein den Einzelnen intransparentes Gefüge verstanden wird (insofern wäre Systemtheorie eine Analyse des Istzustands, aber nicht des Sollzustands), der eben gesprengt werden soll. Dass Systeme anderen und sich selber intransparent sind, macht vielleicht deren Systemcharakter aus, aber vielleicht sind Systeme nicht alles, was soziale Organisation uns bietet. Ich hoffe das zumindestens...

Tuesday, June 06, 2006

Evolution - goes on

Lieber Hr. Alberth, hier der nächste Gang Ihrer Leib- und Magen-, oder man könnte auch sagen Theorie- und Bewusstseinsspeise: Evolution (wahlweise mit oder ohne Hummer).

Eigentlich bin ich ob Ihrer scharfen Worte, gegen den analytisch wohl nur schwer ersetzbaren Begriff der Evolution, etwas verwundert. Lehnen Sie es doch ab, in der Vergangenheit Evolution beobachten zu können (Wenn die Frage erlaubt ist, gehen Sie in Ihrer soziologischen Theorie davon aus, dass Sie und Ihre Theorie von Gott geschaffen wurde? Mir fehlt dann dafür gerade die Textstelle, in der es heißt: Und Gott schuf die Kritische Theorie und sah... naja, ich will nicht sagen, nach einer Weiterentwicklung um... aber so in die Richtung...), so fordern Sie für die Zukunft, die sie noch gar nicht kennen können (es sei denn Sie sind Prophet), eine Radikal(R)Evolution.

Lars schrieb: "es geht nicht um die historische Genese des Systems, sondern um die "Heraussprengung" des "Jetzt" aus dem historischen Kontinuum."

Einen Zerfall des Systems Gesellschaft, soll anscheinend ein neues System der Gesellschaft folgen. Eins in dem alle Teile auf einmal ausgetauscht worden sind, dass sich trotzdem stabilisieren kann und ungleich viel komplexer sein soll, als es die (hoch)moderne Ges. ist. Und die Strukturen die das erwartbar machen, liegen in der destruktiven Kritik.

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Man kann Evolution als schon immer stattfindend beobachten, aber das ist nicht die Kernaussage. Ich muss mich schief ausgedrückt haben, damit Sie den Text so lesen mussten. Pardon!

Vielleicht sollten wir Punkt für Punkt gehen (ich freue mich sehr darauf, mit Ihnen parallel am Luhmann-Text zu arbeiten... keine Sorge, er ist noch da... der Hummer liest nur gerade darin...)

(1) Mit Evolution meine ich immer noch: Das Erreichen einer neuen Stufe von Komplexität. Ganz einfach: Wasserstoff (H) und Sauerstoff (O) sind für sich Phänomene mit speziellen Eigenschaften. Unter ganz bestimmten Umständen aber, können sie sich zu Wasser (H²O) verbinden und entwickeln so völlig neue Fähigkeiten, aber verlieren auch welche, die sie als einzelne Phänomene noch besaßen.

sehen Sie das auch so?

(2) Wenn wir es dann mit einem neuen "System" zu tun haben, dass gänzlich anders ist als die aus denen es sich entwickelt hat, ohne die es sich aber nicht hätte entwickeln können, können wir dann nicht von diesem System Dinge erwarten mit einer Wahrscheinlichkeit, die wir so nur erwarten können, weil es dieses neue Phänom gibt?

sehen Sie das auch so?

(3) Können wir gemeinsam beobachten, dass sich Systeme nur selbst weiterentwickeln können, dass dabei aber die Umweltbedingungen an die es sich anpassen muss, durchaus Freiheitsgrade/Selbstbeschränkungen des Systems destruktiv beeinflussen kann? Ein Bsp. wäre für mich: Pinguin landet in der Sahara und muss sich um überleben zukönnen verändern. Er fängt an mit den Wahrnehmungen die er wahrnimmt (es ist viel zu heiß!) sich selbst zu irritieren und tauscht nach und nach alte, nicht mehr brauchbare Elemente gegen neue, besser angepasste Elemente aus. Am Anfang mögen diese Mini-Evolutionen (er schläft ja nicht morgens als Old-School Pinguin ein und wacht abends als New-School-Pinguin auf, sondern er braucht Zeit) dem Beobachter (das schließt den Pinguin, wenn er denn die kognitive Kapazität dafür besitzt, ein) nicht leicht auffallen, aber nach längerer Zeit sind größere Veränderungen leichter zu beobachten. Dabei ist er zwar von der Hitze in seiner Evolution beeinflusst, aber nicht determiniert worden.

Sehen Sie das auch so?

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Ich belass es dabei für diesmal, finde aber Ihre Beschreibung von moderner und unmoderner ST zugleich, prima und freue mich auf Ihren nächsten Post.

Tausend Küsse, Ihr Sie herzender ...nein, nicht Talcott, sondern ... ja, wenn ich mir nicht selbst so intranspanrent wäre... aber es bleibt dabei: Tausend Küsse!

Hummersuppe - Ursuppe - Uhrsuppe...

Ob Hummer essen moralisch sei oder nicht, sei dahin gestellt (obwohl ich Deiner Aufforderung, die Finger von der Moral zu lassen, weil das moralisch sei, nicht teilen würde - ist mir etwas zu einfach, aber vielleicht ist das ja auch nur der Schnapps in meinen Pralinen - dann wird mir auch klar, warum Du sie suchen musst).

Sobald mir die Ges. der Ges. über den Weg läuft (Lieber Daniel, bist Du sicher dass Dir der Hummer abhanden gekommen ist oder eher ein ihnen geläufiges - vielleicht gar: läufiges - Buch?) werde ich mich mit Dank in das dritte Kapitel versenken.

Für mich klingt das mit der Evolution bei Dir eher nach Axomatik "Evolution findet immer im System statt...".

----- Kurzschluss mit der Moral: Der diktatorische Charakter von Axiomen: nicht hinterfragen wollen, sondern als weder beweisbar noch widerlegbar hinnehmen: Es soll gelten, dass..." -----

Das bringt mich in eine verzwickte Position: Meine Frage lautet doch, ob Evolution ein adequater Begriff zur Beschreibung von Systemdifferenzierung sei - und als Antwort bekomme ich: Evolution existiert immer schon. *Am Kopf kratz*

ad Schizophrenie 2: Naja, klar: Der Begriff der Evolution ist paradox...nur - korrigiere mich - stellte das System die Antwort auf das Paradox von Funktion und Form dar. Aber auf welches Paradox antwortet ein paradoxer Begriff.

ad Ursuppe/Uhrsuppe: Dass ein kontinuierlicher Zeitraum eine soziale Organisation sei, und dass sich dies auch heute noch anders organisieren lässt (gleichzeitig zur linearen Vorstellung einer voranschreitenden Geschichte gibt es ja zirkuläre Vorstellungen immerwiederkehrender Muster, z. B. Kalender) heißt ja, dass es keine systemspezifische Notwendigkeit gibt, eine Entwicklung oder Evolution als Leitparadigma sozialer Differenzierung anzusehen. Dass es also einen Urknall geben sollte (auch hier gibt es ja ein zyklisches Bild des Universums), hängt von unserer Organisation der Zeit per Uhr und Erzählung ab. Irgendwie erscheint mir die Systemtheorie gleichzeitig radikal modern und radikal unmodern zugleich:

Modern, weil sie die klassischen Erfahrungen der Moderne (Entwicklung, Differenzierung, Kontinuität, Rationalität, Forschrittsnarrativ, Komplexitätssteigerung etc.)
Unmodern, weil sie sich nicht verobjektivieren lässt, weil sie den Anspruch erhebt, alles aus einer Perspektive beschrieben und verobjektivieren zu können (auch wenn sie weiß, dass es unterschiedliche Beschreibungen gibt).

Paradox...aber daran anzuknüpfen, überlasse ich Dir.

Morgens beim Hummer

"Hallo Hummer! Wo kommst du eigentlich her? Intelligent Design? Drogeninduzierte Psychose?" (Repäsentativ ausgewählte Operation einer studentischen Frühstückskognition ...*lach* ... *hust* ... *spuck blut*...)

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Evolution, lieber Herr Alberth, wird bei Niklas Luhmann (ob der gut oder böse ist, setzt eine Frage der Moral voraus, die wohl, wenn gestellt, selbst schon eine moralische Frage ist... darum besser: Finger weg von der Moral) bspw. in der Ges. der Ges. behandelt, Kapitel 3.

Analytisch ist der Begriff nicht zu retten, dafür müsste er ja in einer Situation sein, in der man unterscheiden könnte, retten oder lieber untergehen lassen. Die Beobachtung, dass Systeme entstehen, mit einer eigenen, selbstreproduzierenden Operationsweise, die Unwahrscheinliches über Strukturbildung erwartbar machen, dann können wir entweder sagen, dass war schon immer da (Gab es Hummer schon immer? Gab es die Wissenschaft schon immer? (Schöpfung/Konstruktion)) oder aber, wir beobachten es so, dass wir bestimmte Phänomene für irgendwann entstanden halten, für entwickelt (das Bildungssystem setzt sich aus bestimmten Elementen zusammen (Kommunikationen), die aber erst im Bildungssystem die erwartbarkeit erlangen, die sie aufweisen. Bspw. Man beobachtet Papier und sein Herumreichen schon länger und auch in anderen Kontexten, aber auf einmal kann man mit eine gewissen Regelmäßigkeit erwarten, dass es Papiere mit dem Aufdruck "Zeugnisse" jeder Jahr im Sommer gibt. Und das mit dem was auf den Papieren steht (ich meine, da stehen ja bloß Zahlen und abstrakte Begriffe wie "Kunst" drauf) ganz bestimmte Anschlüsse wahrscheinlich werden, nämlich: Zulassung in die nächste Klasse oder nicht. Aber ob man eine Liebesbeziehung unterhalten kann oder nicht, hat damit zunächst mal aber auch gar nichts zu tun (was wären das für traurige Jugenden!)(Kontingenzbildung)).

Evolution findet immer im System statt, es gibt keine Entsprechungen für dass, was im System stattfindet, in der Umwelt. Die Umwelt ist unbeobachtbar - zu komplex. Wir beobachten auch nur Herrn Alberth und nicht alles-andere (wir waschen Teller ab beim Spülen und kratzen nicht Universum ab).

Ihr Schizophreniebegriff erinnert mich stark an Paradoxieprobleme, die in der Systemtheorie behandelt werden. In der Tat ist der Anfang unentscheidbar, denn er setzt bereits voraus, dass jemand nach dem Anfang fragt und ihn von etwas unterscheidet, was dann aber genauso zum Anfang dazugehört wie der Anfang selbst, es ist der unbeobachtbare Kontext, der immer mitschwebt, aber nicht beobachtet wird. Die Frage nach dem Anfang wird mittenmang gestellt und wenn sie in sich selbst wieder eintritt, kann sie sich nur entscheiden für "Anfang ist der Anfang" (Tautologie) oder "Anfang ist nicht der Anfang" (Paradoxie). Und sie würde ihre Beobachtung der Operation aushebeln, wenn sie nicht mit Hilfe von Selbst- und Fremdreferenz anfangen würde, die Operation zu entfalten und zu sagen: "Das gehört zum Anfang dazu.. und das gehört zum Anfang, als zu seinem Kontext/Umwelt/Milleu in dem er sich befindet dazu, ist aber insofern kein Teil von ihm. Vergessen wir aber nicht, dass der Anfang, wenn er sich selbst beobachtet (als eine Seite einer Unterscheidung) die dann beobachtete Differenz selbst differenziert hat und somit nur oszillationen prozessiert... und das kostet Zeit.

Letztlich ist das System für sich selbst intransparent und die Umwelt ist es für das System auch und deshalb fangen manche an zu behaupten, sie würden die Umwelt verstehen, dabei verstehen sie nur, dass sie weder sich, noch die Umwelt verstehen.

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"Oh nein, jetzt hat sich der Hummer von dannen gemacht. Egal, seine Umwelt, egal wo er ist, ist ja noch da. Dann ess ich halt die... *gar-nicht-lach*...*knurr magen*"

Schwester, die Doppelzange bitte...

die einfache greift leider nur in eine Richtung (Hummer sei dank!)

ad Schizophrenie: Ich meine damit durchaus keine Entwicklung oder Anpassung, sondern einfach den Zustand des Begriffs der "Evolution", der einen Drift (d.h. eine Bewegung) konnotiert oder gar denotiert, der aber nur als aktualisierter Bruch beobachtbar ist. Evolution scheint sich nicht entscheiden zu können, ob sie nun fließen oder brechen soll.
Liebster Adressat, bleibe ruhig noch einen Moment ein paar Zentimeter über dem Boden schweben, denn ich stimme im Rahmen systemtheoretischer Überlegungen auf einer phänomenologisch-analytischen Ebene zu (von der Seite kann es ja gar keine Einwände gegenüber die Theorie als System geben), halte aber den Begriff der Evolution aus eben diesen Überlegungen für nicht adequat weil unentscheidbar (="schizophren" im populärsprachlichen Gebrauch).
Da helfen die Überlegungen von Maturana und Varela ja nur begrenzt weiter (auch wenn sie konstatieren, dass sich die Wirkungen nur intern vollziehen)
Übrigens gäbe es dann eine weitere Fragestellung, die Dir vielleicht den Begriff retten könnte:
Ist Evolution vielleicht deshalb nur intern zu beobachten, nie aber jedoch extern? Ist Evolution gar das, was man als Beobachtung erster Ordnung eines spezifischen Subsystems nennen könnte? Gibt es also eine Ausdifferenzierung im System, dass seine Beobachtung nur auf die Veränderung des Systems abstellt, was zwar für das System zwar eine Beobachtung 2ter Ordnung wäre, für das Subsytem aber sicherlich 1ter Ordnung? Liegt vielleicht darin die Nichtkommunizierbarkeit des Drifts, weil er nur ex post als Differenz kommuniziert werden kann? Aber nein, dass würde ja den Status des "alles ist Kommunikation" aushebeln...
Alle Wege die ich beschreite, um dem Begriff der Evolution zu retten, gehen fehl.
Ach, Daniel hilf! Wo setzt sich der gute Niklas (nein, nicht der gute Talcott) mit dem Begriff auseinander? Vielleicht findet sich ja dort eine Lösung (bzw. eine Evolution)?

P.S.: Gibt es eigentlich einen Zustand der Scheinkomplexität? (Vielleicht als fürchterliches Aufblasen der Männchen auf der Balz?)

Monday, June 05, 2006

Schwester, die Zange bitte..

Wenn Sie mir so zustimmen lieber Herr Alberth, dann müssen wir ja gründlich aneinander vorbeigeschrieben haben *lach*...*hust*...*schweb davon*...
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Strukturelles Driften eines Systems ist nur möglich, wenn es dieses System bereits gibt. Heißt, da ist eine Grenze zwischen System und Umwelt und auf der Systemseite der Grenze weist die Organisationsform eine operationale Geschlossenheit auf:
"Ihre Identität ist durch ein Netz von dynamischen Prozessen gekennzeichnet, deren Wirkung das Netz nicht überschreiten." (Maturana/Varela, Baum der Erkenntnis, S.100)
Innerhalb dieses Systems gibt es spezifische Operationsformen die durch ganz bestimmte Letztelemente durchgeführt werden (z.B. Kommunikation in Sozialen System, Gedanken in Bewusstseinssystemen).
Mit jeder Operation, also mit jeder Selbsterhaltung(soperation), zieht das System seine Grenze neu und differenziert sich dabei immer wieder aus. Findet keine Operation statt, ist da auch kein System. Die Operation verglüht sozusagen im Moment ihrer Vollendung.
Das eine Evolution stattgefunden hat, lässt sich wahrscheinlich wirklich immer nur im Nachhinein erkennen, denn die Beobachter sind gegenüber der Gegenwärtigen Operationen blind, was deren Auswirkungen sein werden. Empirisch wird sich wohl feststellen lassen, dass es Systeme gibt, in denen nur noch ganz spezifische Kommunikationen Anschlusskommunikationen erwarten lassen, weil Strukturen ausgebildet wurden, aufgrund einer Funktion, die bestimmtes erwartbar machen. So können wir heute - im Nachhinein beobachte - dass es ein Gastronomisches Subsystem gibt, in dem nur erfolgreich kommuniziert werden kann, was sich um Wohlschmeckendes/Nicht-Wohlschmeckendes dreht, während vor 60Jahren im Nationalsozialismus/Faschismus nicht gegessen wurde, was politisch/völkisch "entartet" war. Und nach dieser Differenz musste auch fast alles andere codiert werden (Krankheit, Politik, Kunst...).